Emslage. Es riecht nach feuchtem Gras, es ist kalt. Auf dem Rasenplatz des VfL Emslage hört man das typische Geräusch, wenn mehrere Fußbälle auf einmal getreten werden. Das Flutlicht spendet gerade genug Licht. Zum Auftakt des Trainings der zweiten Mannschaft wird traditionell „fünf gegen zwei“ gespielt. Die Stimmung ist ausgelassen, es wird gelacht. Mittendrin: Haytham Babiker. Dass der 23-Jährige auf dem emsländischen Rasen so ausgelassen kickt, ist bei Weitem keine Selbstverständlichkeit.

Noch vor zwei Jahren befand er sich auf der Flucht. Auf der Flucht vor seiner eigenen Heimat. Auf die Frage, seit wann er in Deutschland lebt, antwortet er im perfekten Deutsch und mit fester Stimme: „Seit dem 20. August 2015.“ Er erinnert sich genau an diesen Tag. Denn was ihm vorher widerfahren war, prägt einen Menschen mehr, als ihm lieb sein dürfte. Für dreieinhalb Jahre arbeitete Babiker, der im Westsudan aufgewachsen ist, als Glastechniker in Israel. Bei der Rückkehr in sein Geburtsland wurde ihm der Pass entzogen: Er musste für dreieinhalb Monate ins Gefängnis. „Meine Familie stammt aus dem Westsudan. Dort hat man Probleme mit der Republik. Mir wurde vorgeworfen, dass ich Mitglied einer Revolution gewesen sein soll“, erinnert sich Babiker. „Mir wurde damals gesagt, dass ich womöglich zehn Jahre im Gefängnis bleibe.“

Intensiver Deutschkurs

Nach seiner Haftentlassung machte sich der in Darfur geborene Sudanese auf den Weg in ein besseres Leben. Vom Sudan ging es nach Libyen, von dort aus schaffte es Babiker nach Italien, um am 20. August 2015 in Deutschland anzukommen. In Meppen-Rühle lebt er zusammen mit acht weiteren Sudanesen im Flüchtlingsheim. Er fühlt sich wohl, sehr sogar. Der 23-Jährige lacht viel, steckt seine Mitmenschen mit seinem Optimismus an. „Als ich angekommen war, wollte ich unbedingt Fußball spielen“, sagt Babiker, der vier Tage in der Woche jeweils acht Stunden Deutsch lernt, mit einer Euphorie eines Kleinkindes in seiner Stimme. Im Sudan hatte er als Jugendlicher bereits gespielt, in seiner Zeit in Israel war ihm das nicht mehr möglich.

Er machte sich auf die Suche nach einem Verein. Im Winter des vergangenen Jahres wartete er auf der Anlage des VfL Emslage vergeblich auf Mannschaft und Trainer – zwei Wochen lang. „Mir wurde gesagt, dass jeden Dienstag und Freitag trainiert wird“, erinnert sich Babiker. Das Problem: Er wartete vergeblich. Das Team befand sich in der Winterpause. Der Sudanese lacht, während er seine Geschichte erzählt. Sein Lachen ist ansteckend.

Zunächst trainierte Babiker unter Tim Schmidt-Weichmann in der ersten Mannschaft. Als die Zweite mit dem Training anfing, fand er dort seine neue sportliche Heimat und neue Freunde. „Haytham ist sehr offen und geht ohne Scheu auf seine Mitspieler zu. Er bringt sich mit voller Leidenschaft ein“, betont Stefan Hengstermann, der Babiker in der Reservemannschaft trainierte. Mittlerweile fungiert Hengstermann als VfL-Geschäftsführer. Die Entwicklung des neuen quirligen Mittelfeldspielers verfolgt er dennoch weiter. „Er ist ein Vorbild an Einsatz. Wenn wir als Team gefeiert haben, war er mittendrin“, bescheinigt Hengstermann eine vollends gelungene Integration.

Fußball ohne Taktik

Das Fußballtraining sei anfangs noch ungewohnt gewesen. In seiner Heimat „haben wir nur Fußball gespielt, keine Taktik“, erklärt Babiker. Dennoch: Auch wenn er nicht oft für Emslage auflief, im Training gibt er alles. Er sprintet viel, langsam geht nicht. Geschickt umkurvt er die Übungsstangen auf dem feuchten Rasen in Emslage. Alles unter den wachsamen Augen seines Coaches Sebastian Nottberg. „Hervorzuheben ist sicherlich die Wissbegierde. Er fragt nach, will die Hintergründe taktischer Vorgaben kennen“, lobt Nottberg, Babiker hört bedächtig zu. „Aber auch wir lernen immer dazu. Wir mussten erst einmal in Erfahrung bringen, was Pfosten auf Englisch heißt“, sagt Hengstermann und lacht dabei.

Dass Babiker endlich angekommen ist, hat er einem Mann im ganz besonderen Maße zu verdanken: Udo Hollemann. Der Meppener engagiert sich ehrenamtlich für Flüchtlinge. So kam auch der Kontakt mit Babiker zustande. Sobald sich die Blicke beider Männer treffen, müssen sie anfangen zu schmunzeln. Die beiden verbindet mittlerweile mehr als nur eine Freundschaft. „Er ist wie ein Vater für mich“, sieht der Sudanese seinen Nachbarn vertraut an. „Wir sehen uns jede Woche.“ Zusammen mit Hollemann und einem Gutschein des KSB-Emsland konnte sich Babiker mit der nötigen Sportkleidung eindecken.

Als grundoptimistischer Mensch gibt es nicht viel, was Babiker stört. Natürlich könnte das Wetter in Deutschland besser sein, ein wenig wärmer. So läuft er aktuell noch mit Handschuhen über den Platz. In jedem Wort, welches er über sein neues Leben verliert, schwingt eine Portion Dankbarkeit und Fröhlichkeit mit. Seine Zukunft ist offen, er weiß nicht, ob er in Deutschland bleiben kann. Sobald Babiker am Ball ist, sind diese Sorgen vergessen. Dann lebt er im Hier und Jetzt – und das macht ihn glücklich.