20.10.2022 - Kreissportbund Emsland

Studie zu sexuellem Kindesmissbrauch im Sport veröffentlicht

Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs hat erstmals eine große Anzahl von Berichten Betroffener und Zeitzeugen zu sexualisierter Gewalt im Sport detailliert auswerten lassen.

Etwa ein Fünftel der Personen berichtete über
sexuellen Kindesmissbrauch im Rahmen des Sports in der DDR.
Berlin, 27.09.2022 Die heute veröffentlichte Studie der Unabhängigen
Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs bestätigt, dass
sexueller Kindesmissbrauch in verschiedenen Sportarten und insbesondere
im organisierten Vereinssport vorkommt. Die Betroffenen erlebten den
Missbrauch überwiegend im Leistungssport und wettkampforientierten
Breitensport, seltener im Freizeitsport und Schulsport. Grundlage der Studie
sind 72 Berichte von Betroffenen sowie Zeitzeuginnen und Zeitzeugen.
Damit wurde in Deutschland erstmals eine so große Anzahl Berichte zu
sexuellem Kindesmissbrauch im Sport wissenschaftlich ausgewertet. Die
Studie beinhaltet zusätzlich drei persönliche Geschichten betroffener
Menschen.
Die Auswertungen zeigen, dass zwei Drittel der Betroffenen sexualisierter
Gewalt nicht nur einmal, sondern regelmäßig und zum Teil über einen
langen Zeitraum ausgesetzt waren. In den meisten Fällen handelte es sich
um (schwere) sexualisierte Gewalt mit Körperkontakt. Die Tatpersonen
stammen vorwiegend aus dem direkten oder nahen Umfeld und sind
männliche Trainer, Betreuer oder Lehrer. Zudem befanden die Tatpersonen
sich meist in machtvollen Positionen.
Fast ein Fünftel der ausgewerteten Berichte bezieht sich auf sexualisierte
Gewalt im Rahmen des Sports in der DDR. Zu diesem Bereich lagen bisher
kaum wissenschaftliche Erkenntnisse vor. Was in der Studie deutlich wird, sind
die besonderen Bedingungen innerhalb des DDR-Sportsystems, die
sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen aber auch andere Formen
von Gewalt und Vernachlässigung ermöglichten und es für Betroffene fast
unmöglich machten, Hilfe zu erhalten. Die sehr frühe Talentsichtung, Auswahl
und Förderung sportlich begabter Kinder gehörte ebenso dazu wie das über
allem stehende Ziel des sportlichen Erfolgs, welches die betroffenen Kinder
die Gewalterfahrungen dulden ließ. Zudem gab es in den Sportschulen und
Internaten keine erwachsenen Vertrauenspersonen. Die Kinder waren den
Gewalthandlungen von Trainern, Medizinern und sonstigen Sportfunktionären
somit schutzlos ausgeliefert.
Die Studie liefert auch Erkenntnisse darüber, welche Erfahrungen Betroffene in
den Organisationen des Sports gemacht haben, wenn sie die dort erfahrene
Gewalt offenlegten. Die wenigsten Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs wurden
aufgedeckt und aufgearbeitet. Betroffene erlebten stattdessen häufig, dass ihre
Erfahrungen negiert, bagatellisiert und verschleiert wurden. „Sportorganisationen
müssen ein Interesse daran haben, zu erfahren, was in ihrer Einrichtung in der
Vergangenheit geschehen ist, auch um Kinder und Jugendliche besser schützen
zu können. Darum braucht es ein gesetzlich verankertes Recht von Betroffenen
auf Aufarbeitung, das gleichzeitig Institutionen dazu verpflichtet.“, appelliert
Prof. Dr. Heiner Keupp, Mitglied der Aufarbeitungskommission.
Die durchaus spezifischen strukturellen Bedingungen vor allem im
organisierten Sport, erschweren es, dass sexualisierte Gewalt aufgedeckt
wird. Dazu gehört beispielweise die Fixierung auf den sportlichen Erfolg,
aber auch die Abhängigkeit von ehrenamtlichen Mitarbeitenden oder
Sponsoren. Ebenso tragen das große Machtgefälle zwischen Sportlerinnen
und Sportlern und den Trainern oder männlich dominierte Hierarchien in
Vereinen und Verbänden dazu bei. Zudem steht das gemeinhin positive
Image des Sports der Aufdeckung sexualisierter Gewalt oft im Weg. „Gerade
die positive Erzählung des Sports macht es Betroffenen schwer, für ihr im
Sport erfahrenes Unrecht und Leid Aufmerksamkeit und Hilfe zu erhalten“,
verdeutlicht Prof. Dr. Bettina Rulofs, die leitende Autorin der Studie. Für
diejenigen, die als Kind im Sport sexualisierte Gewalt erleben mussten, löst
der Sport das Versprechen auf Gesundheit, Persönlichkeitsentwicklung und
sportliche Leistungsentwicklung nicht ein. „Betroffene sexuellen
Kindesmissbrauchs im Sport machen genau die gegenteilige Erfahrung:
Ihnen entstanden lebenslängliche Schäden für die Gesundheit, Psyche
sowie die Teilhabe am Sport und am gesellschaftlichen Leben“, so Rulofs.
Um geschützt über akute und vergangene Missbrauchsfälle sprechen zu
können, fordern Betroffene eine vom Sport unabhängige Ansprechstelle, die
Aufarbeitung initiieren kann. Angela Marquardt, Mitglied des
Betroffenenrats bei der UBSKM betont: „Betroffene, die das Schweigen
brechen, haben die Grundlage für die vorliegende Studie gelegt. Zu oft
behindern Vereine und Verbände bisher eine schonungslose Aufarbeitung
von Fällen sexueller Gewalt. Ehrliche Aufarbeitung jedoch ist die
Voraussetzung für einen grundsätzlichen Wandel im Leistungs- und
Breitensport. Der organisierte Sport ist dies den Betroffenen schuldig“.

Download:
Studie „Sexualisierte Gewalt und sexueller Kindesmissbrauch im Kontext
des Sports“


Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs
untersucht seit 2016 Ausmaß, Art und Folgen sexualisierter Gewalt gegen Kinder und
Jugendliche in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR. Kern ihrer
Untersuchungen sind vertrauliche Anhörungen und schriftliche Berichte von heute
erwachsenen Betroffenen, die in ihrer Kindheit und Jugend sexualisierte Gewalt in
Institutionen, im familiären und sozialen Bereich sowie organisierten Strukturen
ausgesetzt waren.
Betroffene sowie Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die der Kommission über sexuellen
Kindesmissbrauch berichten möchten, können sich telefonisch (0800 4030040 –
anonym und kostenfrei), per E-Mail oder Brief an die Kommission wenden. Weitere
Informationen zur vertraulichen Anhörung – auch online per Video – und zum
schriftlichen Bericht sowie alle Kontaktdaten unter www.aufarbeitungskommission.de.


Schutzkonzept vom LSB Niedersachsen

Verantwortliche aus 16 Landesfachverbänden, dem Olympiastützpunkt Niedersachsen, dem LOTTO Sportinternat und dem LandesSportBund (LSB) Niedersachsen haben ein Präventionskonzept sexualisierter Gewalt im Leistungssport am Standort Hannover erarbeitet und unterzeichnet. Die Regeln gelten ab Januar 2023.
Alle Infos dazu HIER.

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